Das Beste vorneweg, ja, ich hab ihn geschafft, den Spine Challenger. In 51 Stunden und 37 Minuten non stop ohne Schlaf war ich im Ziel. Und alles, wirklich alles, was ich im letztjährigen DNF (did not finish)-Bericht beschrieben habe, traf auch heuer wieder zu mit einer Korrektur: es ging mir doch darum, diesen im wahrsten Sinne des Wortes „Dreckslauf“ erfolgreich zu beenden und abzuhaken.

Der Spine Challenger 2017

Der Spine Challenger 2017 – 2. Versuch- 174 km geile Unvernunft
von Prof. Dr. Klaus von Brocke

Das Beste vorneweg, ja, ich hab ihn geschafft, den Spine Challenger. In 51 Stunden und 37 Minuten non stop ohne Schlaf war ich im Ziel. Und alles, wirklich alles, was ich im letztjährigen DNF (did not finish)-Bericht beschrieben habe, traf auch heuer wieder zu mit einer Korrektur: es ging mir doch darum, diesen im wahrsten Sinne des Wortes „Dreckslauf“ erfolgreich zu beenden und abzuhaken.

Die Ausgangslage war klar; es macht keinen Sinn, sich eine Nacht bei katastrophalen Wetterbedingungen durch das nordenglische Hochmoor durchzuschlagen, und komplett bescheuert ist es natürlich, das Ganze auch noch eine zweite Nacht lang hindurch durchzustehen. Immer noch nach über einer Woche seit dem Zieleinlauf verspüre ich ein elektrisierendes Prickeln und Brennen an meinen Fußsohlen. Und doch… noch nie zuvor hatte ich so ein lang anhaltendes Buddha-gleiches Zufriedenheitsgefühl verspürt, seitdem ich in Hawes in der Market Hall am Montag Mittag angekommen bin. Da ich auch noch, gemessen an meinen eigenen Leistungen und an dem übrigen Teilnehmerfeld, verhältnismäßig schnell war (trotz mindestens 2 Stunden Zeitverlust durch falsches Navigieren) muss ich irgendwas richtig gemacht haben.

Aber zunächst sei ein Punkt erwähnt, den ich diesmal komplett vernachlässigt hatte und der mir viel Zeit und Nerven gekostet hat: der Umgang mit einem GPS Gerät vor und während des Laufes. Wenn man halt zu blöd ist, die Daten richtig auf sein Gerät zu laden und auch noch Urvertrauen darauf hat, dass es einfach irgendwie funktionieren könnte, so muss man sich nicht wundern, wenn in einer kleinen Notsituation alles Fluchen und hektisches Rumdrücken nicht den gewünschten Erfolg bringt. Ich hatte mir vorgenommen, die letztjährigen Fehler nicht wieder zu begehen, wie zB. falsches Packen, zu schwere Ausrüstung, anderen hinterher laufen in Sachen Navigieren und Tempo, zu wenig Essen. Ich wollte diesmal mein eigenes Ding durchziehen, habe mich gewissenhaft darauf vorbereitet, mehr in die Pflichtausrüstung investiert und war vom Start in Edale weg sehr fokussiert und konzentriert. Bewaffnet mit Karte, griffbereiten 500 Gramm Riesengummibären, stabilen Stöcken und Monsterhandschuhen absolvierte ich die ersten 10 Stunden sogar im Trab, soweit das der Untergrund zuließ.

Spine Challenger 2017

Nach anfänglichen typischen nordenglischen Wind- und Schneetreiben kam sogar die Sonne heraus und als am Abend kurz vor der Autobahnquerung der M62 Manchester-Leeds noch der Imbißwagen offen hatte und ich mir einen double cheeseburger einverleibte, konnte die Stimmung nicht besser sein. Selbst in dem ersten Checkpoint nach 78 km legte ich eine speedy transition von Tag auf Nachtlauf hin und war nach weniger als einer Stunde Aufenthalt wieder auf der Strecke. Aufgebaut hat mich, dass ich gegenüber dem letzten Jahr fast zwei Stunden schneller war und mir auch die schwierige Nachtpassage navigationstechnisch nichts mehr anhaben konnte. So überstand ich mental die wetter-bedingte nervenzehrende Nachtstrecke bei Schnee und Eis recht ordentlich, passierte die Stelle, an der ich letztes Jahr aufgegeben hatte mit einem „F…  it“ recht zügig und lief in den nächsten Kontrollpunkt ein.

Dort erzählte ich von meinem GPS Missgeschick und ein sehr netter Betreuer des Mountain Rescue Teams wollte versuchen, die Daten richtig zu laden, was aber auch misslang. Dennoch war ich ganz froh, dass ich mich geoutet habe. Denn es keimte die Sorge in mir, dass man mich disqualifizieren könnte, denn eindeutige Vorgabe nach den Regeln war nun mal ein funktionierendes GPS Gerät. Solange ich aber im Notfall meine Position durchgeben konnte, waren die Damen und Herren von der Rennleitung zufrieden. So konnte ich den kurzen Tagesabschnitt in Begleitung eines sehr ruhigen Londoners, der sich mir angeschlossen hatte, fortsetzen.

In der Hoffnung, dass ich etwas von der wilden Landschaft auch mal was sehen könnte, starteten wir die fröhliche Sumpf-, Wasserpfützen- und Schlammschlacht. Leider sahen wir nur wasserdurchzogenes Grasland, Riesenseen, die wir durchwaten mussten und langweilige Hügellanschaft.

Spine Challenger 2017Einzig zwei rasant durchgeführte Pitstopps in Pubs in zwei Ortschaften, die wir durchquerten, brachte ein wenig Abwechslung in das meditativ wirkende Watscheln durch extreme Feuchtgebiete. Und pünktlich zum optischen Highlight, der touristisch sehr frequentierten Gegend um Malham mit schroffer Felslandschaft, tiefen Tälern und Kletterpartien wurde es wieder dunkel. Zu diesem Zeitpunkt hat mich auch der Londoner einfach stehen lassen und ist weitergezogen, ohne irgendwas zu sagen und er hatte immerhin ein halbwegs funktionierendes GPS-Gerät. Egal, zu Anfang war es nicht schwierig den Weg durch die Täler mit Hilfe der Karte auf das Plateau zu finden und dann sollte auch schon nach 5 km der nächste check point kommen. Tja, denkste! Auf dem Plateau habe ich die Orientierung verloren und auch intensives Studium der Karte brachte mich nicht weiter. Also musste ich das anwenden, was ich im Vorbereitungskurs gelernt hatte: ruhig werden, möglichst den Weg wieder so weit zurück laufen, bis man an Hand der Karte wieder einen Anhaltspunkt hatte und neu starten. Das tat ich, orientierte mich nach einem See und einem Waldstück und fand tatsächlich einen größeren Pfad. Jetzt musste ich nur noch herausfinden, in welcher Richtung ich dem Pfad folgen sollte. Jetzt könnte ich prahlen, dass ich mit Hilfe des Kompass, der Sterne etc. navigiert hätte, aber die Wahrheit ist, ich hab ein Stirnlampenlicht entdeckt, bin diesem gefolgt und siehe da, es war mein Londoner, der sich angeblich auch verlaufen hatte. Glücklich wieder vereint kamen wir also an dem Checkpoint an und aßen erstmal unser Campingfutter.

Spine Challenger 2017

Was des Einen Leid, ist des Anderen Freud
Am Checkpoint trafen wir einen englischen Kollegen, der auf Grund übelster Schwellungen im Knöchelbereich aufgegeben hatte. Eigentlich wollten wir an dem Checkpoint biwakieren, weil nun angeblich das technisch schwierigste Stück mit zwei Bergen folgen sollte und wir uns ohne GPS als „fall back position“ einfach unsicher fühlten. Unsere Diskussion um die Gestaltung unseres weiteren Rennverlaufs hat Andy, der Fußschwellige, mitbekommen und uns kurzer Hand angeboten sein GPS Gerät zu benutzen. Nach kurzer Einweisung, einer herzlichen Umarmung und frisch gestärkt nahmen wir also die zweite Nacht mit den zwei Bergen in Angriff. Die zwei Hügel mit jeweils 400 Höhenmeter haben wir trotz leichter Umwege und beginnender Halluzination (ich schwöre heute noch, dass das Schafe dort oben waren und keine Grasbüschel) recht gut gemeistert und kehrten gegen halb vier morgens in das Pen-y-Ghent Cafe ein, benannt nach einem dieser Hügel und wegen des Laufes extra 24 Stunden geöffnet. Dort ging es mir nicht wirklich gut, Schüttelfrost, schmerzende Füße und eine gewisse Spine Challenger 2017Müdigkeit machten sich bemerkbar. Also wieder Deeskalationsprogramm: ich sagte meinem Londoner, dass ich zwar weiter mache, es waren nur noch ca 33 km ins Ziel, aber es gerne alleine durchziehen möchte. Mein ursprünglich stiller Londoner wurde nämlich redselig und ich konnte einfach nicht mehr die geistige Energie aufbringen zu denken und zu reden, geschweige denn auf Englisch. Außerdem wollte ich mir trockene Sachen anziehen und etwas Warmes essen. Ich hatte mich sogar etwas hingelegt, aber sehr schnell gemerkt, dass ich lieber weiter ziehen sollte. Die Helfer in dem Cafe haben meine Lage sogleich auch voll durchschaut, mir beim Umziehen geholfen, Navigationstipps gegeben und mich mit einem veritablen Fußtritt in den Allerwertesten und einem „Go and get it“ wieder auf die Strecke geschickt. Und dieses herzhafte aber bestimmte Verhalten hat mir so gut getan, dass ich die ersten Stunden lang sogar die tausend Reisnägel unter meinen Füßen gar nicht mehr so spürte – bis dann die sagenumwobende römische Heerstraße Cam High Road kam, von deren langweiligen Verlauf mich schon alle gewarnt hatten. Die Cam High Road gleicht einem nicht enden wollendem, stets leicht ansteigendem Forstweg über 22 km mit dem einzigen Vorteil, dass ich mich wenigstens nicht mehr verlaufen konnte. Immerhin setzte die Morgendämmerung ein und hin und wieder brach das Gefühl durch, dass ich es tatsächlich schaffen werde. Aber wie singt Lenny Kravits so schön: It ain’t over till its over! Und so zog sich das Wechselspiel zwischen Sinnfrage, Selbstmotivation und Willenlosigkeit auf weitere Stunden hin.

Allen selbsternannten Mentalgurus und Coaches zum Trotz möchte ich mal behaupten, dass es in solchen Momenten nicht auf seinen „unbändigen“ Willen und der mentalen Stärke ankommt, sondern meine Beobachtung war, dass man für solche selbstmotivierenden Impuls- oder Antriebsschübe schlichtweg keine Energie mehr hat, sondern der Körper und das Gehirn, heruntergefahren auf das Notwendigste, einfach nur noch funktioniert in dem er/es einem gleichsam wie ein funktionierendes GPS-Gerät, dass man richtig! programmiert hat, ins Ziel oder zumindest vorwärts bringt, bis es neue Reize oder Herausforderungen wahrnimmt. D.h. insoweit haben die Mentaltrainer schon recht, dass man sich im Vorfeld mit all seinen Herausforderungen auseinandersetzt. Und es sollte noch so ein kleines Abenteuer kurz vor dem Ziel auf mich warten, welches mich aus der Lethargie katapultieren sollte.

Spine Challenger 2017Zunächst schritt ich mit dem Queen- Hit „Don’t stop me now“ Meter für Meter vorwärts. Bei einer Pause am Rand des Weges bin ich tatsächlich einmal für fünf Minuten weggenickt aber ansonsten  versuchte ich es auch mal mit leichtem Tippeln, um meine Füße irgendwie anders zu belasten. In Reichweite des Zielortes hörte dann der GPS Track auf meinem ausgeliehenen Gerät auf und auch die Karte wurde undeutlich. Prompt lief ich, wie ich später feststellte, ins falsche Tal ab. Allerdings merkte ich auch, dass mein eingeschlagener Weg nicht stimmen konnte, war ich doch in einem mit Büschen durchsetztem Sumpfgebiet umkreist von meterhohen Steinwällen gelandet. Ich gebe zu, dass ich in diesem Augenblick wirklich leicht verzweifelt war, so kurz vor dem Ziel und doch nicht richtig. Zu allem Überfluss, und so etwas passiert auch nur genau dann, fiel mir ein Glas aus meiner Brille in den Sumpf und Nebel zog auf. Also, erstmal besinnen, ruhig werden, bzw. fairerweise muss ich sagen, dass ich zunächst rumgeplärrt habe, was das Zeug hielt, soviel Energieverschwendung muss sein. Die genauen Einzelheiten möchte ich hier nicht widergeben, aber sie bezogen sich in nicht schmeichelhafter Form auf das Land, das Wetter und die Organisatoren. In diesen Augenblicken helfen Riesengummibärchen. Ich futterte meine letzten auf, wurde langsam ruhiger und fand auch das Brillenglas wieder. Irgendwie konnte ich es auch wieder einsetzen und auch die sonstige Sicht wurde etwas besser. Plötzlich sah ich links vor mir eine Gestalt, die sich in entgegengesetzter Richtung fortbewegte. Ich schrie was das Zeug hielt, wurde aber nicht gehört. Egal, die Hoffnung keimte auf, dass diese Gestalt eventuell auf dem richtigen Weg war. Blöd war nur, dass ich eine riesige Mauer überwinden musste, um dieser vermeintlichen Person folgen zu können. Da ein drüber nicht möglich war half nur noch ein mittendurch, und zwar mittels Abtragens der losen Steine soweit ein Loch zum Durchkriechen offen war. Mehr recht als schlecht habe ich mich unter fortwährendem Fluchen hindurch gequetscht und das Loch dann wieder zu gemacht (ich habe es auch der Rennleitung später mitgeteilt, die mich ohnehin amüsiert mittels des Trackers beobachtete, welche extra Routen ich denn noch gehen würde).Tatsächlich war dann dort ein völlig überspülter Weg, den man von meiner Seite aus gar nicht entdecken konnte, weil er eher einem Bachlauf gleichkam. Aber dieser Wasserweg führte mich dann in das richtige Tal.

Spine Challenger 2017Das erste was ich dann in der Zivilisation getroffen habe, war die Müllabfuhr. So wie ich aussah hätte man mich auch gleich in die Tonne treten können. Gott sei Dank hab ich mich noch bewegt und die Müllmänner ließen von mir ab. So stolperte ich also die letzten Meter mit Tränen in den Augen dem Ziel entgegen, wurde von einem Supporter eines anderen Läufers in den Arm genommen (eher aus Mitleid als aus Freude) und auf offener Straße mit Applaus bedacht. In einem öffentlichen WC, in dem Ort wunderschön mit „convenience center“ benannt, trocknete ich erst mal meine Tränen und richtete mich zurecht, damit ich würdevoll über die Ziellinie schreiten konnte. In der Halle selbst hat aber zunächst keiner von mir Notiz genommen, da stand ich erstmal ziemlich doof da und wusste erst nicht was ich machen sollte. Erst als mich ein weiterer Läufer fragte, ob ich Finisher wäre und ich etwas verdattert erwiderte, ob man das denn nicht sieht, ging ein Tosen und Geklatsche durch die Halle und ich wurde gebührend empfangen und umsorgt.

Von da an gibt es eigentlich nicht mehr viel zu erzählen, außer, dass es mir so vor kam, als hätte ich die nachfolgenden drei Tage pausenlos gegessen, unterbrochen nur vom Schlafen, Duschen und Füße behandeln. Also, was habe ich diesmal richtig gemacht?

  1. Pausenloses essen und nie eiskalt trinken (Magen!)
  2. Viel Wert auf Ausrüstung mit wenig Gewicht legen
  3. Super schützende Schuhe: erste Hälfte Salomon X Alpine, zweite Hälfte Salomon Snowcross drei Nummern größer
  4. Den Begriff „trocken“ aus seinem Wortschatz vorübergehend verbannen
  5. Reden mit Schafen

Ach ja, die Gestalt, die ich angeblich gesehen hatte und die mir den richtigen Weg zum Schluss anzeigte, kann kein Läufer gewesen sein und auch die Wahrscheinlichkeit, dass dort um die Zeit ein Bauer oder anderer Wanderer gewesen sein sollte war eher gering. Glücklicherweise war dies die einzige noch dazu wohl sehr positive Einbildung, die mir widerfuhr, aber die Finishermedaille, die ist echt!

Spine Challenger 2017

PS: Um die Frage vorwegzunehmen: Ja, ich denke, ich werde mich in 2-3 Jahren an den großen Spine heran wagen.

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